Wie Animal Rescue Kharkiv und PETA Tausenden zurückgelassenen ukrainischen Hunden eine sichere Zukunft ermöglichen
Stuttgart. Seit Russlands Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 sind Tierschützer von Animal Rescue Kharkiv (ARK) mit der Unterstützung von PETA Deutschland für die Tiere im Kriegsgebiet im Einsatz. „Mit PETA HELPS UKRAINE ist in nur kurzer Zeit das größte karitative Projekt entstanden, das wir in 30 Jahren Vereinsgeschichte realisiert haben“, sagt PETAs Projektleiterin Sylvie Bunz. „Mit unserer Unterstützung hat Animal Rescue Kharkiv bisher etwa 17.000 Tiere retten und in ein ‚neues Leben‘ in ruhige Teile der Ukraine und in die Europäische Union bringen können.“
Animal Rescue Kharkiv – die mutigen Lebensretter im Krieg
Rund 85 Mitarbeiter und Helfer zählt Animal Rescue Kharkiv, von denen alle, die nahe der Front Tiere retten, über einen militärischen Hintergrund verfügen. Dieser ist dann besonders wichtig, wenn Befehlsketten eingehalten und Absprachen mit ukrainischen Soldaten getroffen werden müssen. In vermintem Sperrgebiet oder bei Luftalarm ist jeder Schritt lebensgefährlich. Das erfordert strategisches Vorgehen. Häufig wird das Team von Geflüchteten oder Anwohnern alarmiert und gebeten, zurückgelassene Hunde aus den Trümmern früherer Wohnhäuser herauszuholen. „Je näher sich der Abholort an der Frontlinie befindet, desto heikler gestaltet sich die Rettung. Um nicht selbst zum Ziel russischer Raketen zu werden, machen sich die Retter – mit Helmen und Schutzwesten ausgerüstet – sogar zu Fuß auf den Weg und tragen die Schützlinge kilometerweit zurück zum Transporter“, berichtet Sylvie Bunz.
Vier Rettungsteams rücken täglich aus und riskieren für unsere Mitgeschöpfe das eigene Leben. Haben sie vor Kurzem noch etwa 60 Tiere pro Woche gesichert, sind es inzwischen bis zu 450. Dabei ist die selbstlose, unermüdliche und mutige Arbeit der Tierschützer aus großer Not erwachsen: Schon zu Beginn des Krieges wurde das Tierheim der Organisation in Charkiw bei einem Raketenangriff völlig zerstört. Von 400 Hunden starben fast alle, und für die überlebenden Tiere gab es keine Unterkunft mehr. „Da musste eine schnelle, pragmatische Lösung her“, erinnert sich die PETA-Projektmanagerin. „Wir haben Pferdeställe umgerüstet, um circa 800 Hunde vor der Kälte geschützt und sicher durch den Winter zu bringen.“ Für die Katzen im Projekt wurde eine große Wohnung angemietet, umgebaut und liebevoll eingerichtet.
PETAs Projekt bietet Zuflucht und medizinische Versorgung
Derzeit können im Projekt über 1.300 Tiere in Not beherbergt werden. Neben zahlreichen Hunden nehmen dies auch Katzen, Pferde, Schafe, Ziegen, Hühner, Tauben, Gänse, Enten, Schwäne, Fische und andere Lebewesen dankbar in Anspruch.
Nun entsteht eine neue Zuflucht für Tiere, in der künftig mehr als 1.000 Tiere aller Art einen sicheren Platz finden. Viele von ihnen werden dort auch auf ihre Vermittlung vorbereitet. „Dafür wird ein Milchbetrieb umgebaut, der nie in Benutzung war. Wo also vor 30 Jahren – nach dem Zerfall der Sowjetunion – Kühe für ihre Milch hätten ausgebeutet werden sollen, finden stattdessen Tiere ein möglichst sicheres, vorübergehendes Zuhause“, berichtet PETA. Der überwiegende Teil der Tiere wird entweder mit ihren Haltern wiedervereint – eine gemeinsame Flucht ist meist nicht möglich – oder über Tierheime an liebevolle Menschen vermittelt. Manche bleiben wahrscheinlich für immer im Projekt.
Das Herzstück der Tierschutzarbeit ist eine zu großen Teilen von PETA mitfinanzierte Tierklinik in Charkiw. 130 schwer kranke und verletzte Tiere können pro Tag in der Klinik operiert und gepflegt werden – täglich wird diese Kapazität auch voll ausgeschöpft. Denn das Leid ist unbeschreiblich groß, und medizinische Hilfe und Versorgung werden dringend benötigt.
In der Klinik versorgt tiermedizinisches Fachpersonal unzählige Hunde, Katzen, Vögel, Klein- und auch Wildtiere in Not. Sehr viele schwer verletzte Hunde gehören dazu, die in den Wirren des Krieges zurückgelassen und etwa durch Bombensplitter, Trümmerteile oder gar Explosionen verwundet wurden. Manche dieser Hunde waren vielleicht immer schon heimatlos. „Das Leid, dem die Rettungskräfte von ARK täglich begegnen, ist unermesslich“, erzählt Sylvie Bunz weiter. „Erst vor wenigen Wochen hat das Einsatzteam einen jungen Hund in seine Obhut genommen, dessen Fell großflächig mit Motoröl verklebt war. Andernorts hat ARK einen Hund aus den Trümmern eines Hauses geborgen. In einem Hohlraum hatte er Schutz gesucht, doch die Ruine brach immer weiter ein. Alleine wäre er nicht mehr herausgekommen. Und diese Geschichten zählen noch zu den positiven, weil die Hunde gerettet wurden.“ Heute geht es den beiden gut. In der Klinik wurden sie gründlich untersucht, behandelt und liebevoll umsorgt, damit auch seelische Wunden gelindert werden.
Im Umgang mit traumatisierten Tieren sind PETAs Partner sehr erfahren. Von Hunger und Durst geschwächt, laufen den Rettungsteams die Hunde oft direkt entgegen. Die meisten der Tiere hoffen förmlich auf menschliche Hilfe. Doch nicht immer lassen sich zurückgelassene Hunde so leicht mitnehmen. Von ihrer Angst geleitet versuchen einige größtmögliche Distanz zu den Tierschützern aufzubauen. Andere nehmen eine Verteidigungshaltung ein. Solche Verhaltensmuster berücksichtigt ARK auch bei der Vermittlung. „Hunde, die jahrelang an der Kette waren, werden tendenziell keine entspannten Familienhunde. Doch beherbergt unser Projekt überwiegend ‚Allrounder‘: ehemals heimatlose Hunde oder Hunde, die eine Familie hatten. Sie sind mit menschlicher Nähe und alltäglichen Begebenheiten vertraut“, erklärt Sylvie Bunz.
Vegane Tiernahrung stillt den Hunger zahlreicher Hunde
Seit zweieinhalb Jahren bringt der Angriffskrieg nun Zerstörung, Tod und größte Not über Mensch und Tier in der Ukraine. Tiernahrung ist nahezu unerschwinglich geworden. Das trifft die Tiere schwer. Im ländlichen Raum führen diese ohnehin oft ein entbehrungsreiches Dasein. Doch in Kriegszeiten ist es Haltern kaum noch möglich, ihre Hunde mit Nahrung zu versorgen. Hinzu kommen die bedürftigen Tiere, die keine Menschen mehr haben. PETAs Projektleiterin denkt zurück und erzählt: „Unmittelbar nach Kriegsbeginn brach die Versorgungslage ein, und wir mussten uns schnell etwas einfallen lassen, um dem Hungertod unzähliger Tiere entgegenzuwirken.“ Treue Partner produzieren für PETA tonnenweise vegane Tiernahrung und transportieren diese ins Land. Vor Ort werden die lebenswichtigen Reserven an Tierhalter sowie Tiere ohne Heimat verteilt. Auch die Bewohner im PETA-Projekt werden damit versorgt. Knapp 1.600 Tonnen sind es inzwischen insgesamt, die den Hunger Tausender Tiere stillen. Das entspricht in etwa dem Gewicht von acht Jumbojets. Nahrung für alle anderen Tiere kann im Land gekauft werden.
Die Gefahren sind groß und der Aufwand ist hoch, doch jedes Leben zählt – auch das der Tiere. „Darum appellieren wir an die Öffentlichkeit, das Leid von Mensch und Tier in der Ukraine nicht zu vergessen, denn die Lage verschlimmert sich täglich“, schließt Sylvie Bunz, Leiterin des Projekts PETA HELPS UKRAINE.
Fotos: © PETA Deutschland e.V.