Tierärztin Dr. Anna Magdalena Naderer vom bundesweiten Tierarztpraxis-Netzwerk Filu warnt: „Tagtäglich werden in Tierarztpraxen Hunde wegen schwerwiegender gesundheitlicher Schäden durch Überzüchtung behandelt. Um Tierleid und hohe Behandlungskosten zu vermeiden, sollten Hundehalter sich deshalb genau informieren, bevor sie sich einen Hund anschaffen.” Die Tierärztin kritisiert den ungesunden und mit viel Leid verbundenen Trend zu Qualzuchten sowie die unzureichende Aufklärung der Hundehalter.
München. Die Freundschaft zwischen Hund und Mensch ist eine jahrtausendealte Erfolgsgeschichte. Ob Jagdpartner, Wächter oder Freund – Mensch und Hund sind ein gutes Team. Als Menschen vor rund 20.000 Jahren begannen, Wölfe zu domestizieren, legten sie den Grundstein für die heutigen Hunderassen. Durch Zucht, genauer gesagt die planmäßige und kontrollierte Paarung, sollen bestimmte Merkmale oder Eigenschaften gefördert und weiterentwickelt werden. Auf diese Weise sind viele gesunde Hunderassen mit positiven Eigenschaften entstanden. Manche Züchtungen fördern bestimmte Merkmale allerdings so extrem, dass sie bei Hunden Schmerzen, Leiden, Schäden oder Verhaltensstörungen hervorrufen. In diesen Fällen spricht man von Qualzucht.
Qualzuchtmerkmale
- Atemnot
- Bewegungsanomalien
- Lahmheiten
- Anomalien des Skelettsystems
- Entzündungen der Haut
- Haarlosigkeit
- Augenkrankheiten wie Blindheit, Entzündungen oder Augenliedfehlstellungen (Entropium, Ektopium)
- Vorlagerung des Augapfels (Exophthalmus)
- Taubheit
- Fehlbildungen des Gebisses
- Missbildungen der Schädeldecke
- Dysfunktion von inneren Organen
- Dystokie (Geburtsschwierigkeiten durch Körperform)
- Verringerung der Lebenserwartung
Obwohl der Tierschutz seit 20 Jahren im Grundgesetz als Staatsziel verankert ist und Qualzuchten im Tierschutzgesetz seit 1986 verboten sind, sind Hunderassen wie Möpse, Französische und Englische Bulldoggen, Chihuahua und Toy-Pudel weitverbreitet. Und sogar bei überwiegend gesunden Rassen, wie dem Deutschen Schäferhund oder Pudel, können Qualzuchtmerkmale vorkommen.
Aus diesem Grund sollten Hundeliebhabern ihre Tiere nur bei serösen Züchtern erwerben und bewusst auf Qualzuchtmerkmale achten. Denn diese können sowohl bei den betroffenen Tieren als auch Haltern viel Leid verursachen. „Manchmal können Qualzuchtmerkmale zu lebensbedrohlichen Beeinträchtigungen und zum Tod des Tieres führen“, sagt die Tierärztin Dr. Naderer und betont, dass neben gesundheitlichen und emotionalen Belastungen auch hohe Behandlungskosten für Tierbesitzer entstehen können. Naderer rät daher von Qualzuchten und Hunden mit Qualzuchtmerkmalen dringend ab.
Brachycephalie: Ungesundes Kindchenschema
Ein breiter Kopf, kleine Nasen und niedliche Kulleraugen. Diese typischen Merkmale des Kindchenschemas lösen bei vielen Menschen das Bedürfnis aus, Fürsorge zu übernehmen. Deshalb sind Hunde mit diesen Charakteristiken sehr beliebt. Im Fachjargon heißen sie brachycephale Rassen. Zu ihnen zählen unter anderem Französische und Englische Bulldoggen, Chihuahua, Möpse, Pekinese und Cavalier King Charles Spaniel. Ihr niedliches Aussehen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Hunde mitunter stark unter den angezüchteten Merkmalen leiden. „Hauptmerkmal einer Brachyzephalie ist die Wachstumshemmung des Gesichtsschädels, weshalb die Hunde keine ausgeprägte Hundeschnauze mehr haben, was zu einer Disproportion zwischen Hirn- und Gesichtsschädel führt. Die Konsequenz ist unter anderem ein verlängertes Gaumensegel. Diese weiche und bewegliche Fortsetzung des Gaumens verdeckt die Atemwege und erschwert die Atmung“, erklärt Dr. Anna Magdalena Naderer des Tierarztpraxis-Netzwerkes Filu.
Je nach Ausprägungsgrad leiden die Hunde unter Atemnot und können ihre Körpertemperatur nur schwer durch Hecheln regulieren. Hinzu kommen schmerzhafte Reizungen und Austrocknung der vorstehenden Augen infolge der zu kleinen Augenhöhlen. Durch die Verkürzung des Gesichtsschädels bilden sich zudem extreme Hautfalten, welche chronische Entzündungen begünstigen. „Hunde mit stark ausgeprägter Brachycephalie leiden extrem. Zeitgleich sind die medizinischen Hilfsmöglichkeiten eingeschränkt“, erklärt Naderer. Zu den physischen Symptomen kommen noch psychische Auswirkungen, weil Brachycepahlie wichtige Verhaltensweisen der Tiere beeinträchtigt. So kann die beim Spielen oder der Futteraufnahme entstehende Atemnot etwa Angst und Panikattacken auslösen. Durch die veränderte Anatomie des Schädels ist außerdem die Mimik und damit die arteigene Kommunikation eingeschränkt, was Folgen für die betroffenen Tiere hat. Auch verkümmerte Schwänze beeinträchtigen arttypische Verhaltensmuster und die Fähigkeit, kommunikative Signale zu setzen.
Zwergzüchtungen: Niedlich, aber wenig Lebensqualität
Kleine Hunde wirken niedlich und sind für Hundeliebhaber beispielsweise mit kleineren Wohnungen oft eine beliebte Alternative zu normalwüchsigen Hunden. Daher sind Teacup-Hunde, wie sie umgangssprachlich genannt werden, weitverbreitet. Zu ihnen zählen Chihuahua, Zwergpinscher, Yorkshire Terrier oder Toy-Pudel. Die Lebensqualität dieser Rassehunde ist allerdings aufgrund möglicher körperlicher Defekte eingeschränkt. So können die Tiere etwa unter einem Wasserkopf leiden, da Organe wie das Gehirn größenmäßig oft nicht angepasst sind. Weil bei einigen Hunden die Fontanelle, eine Lücke im Schädeldach zur Geburtserleichterung, langfristig nicht zuwächst, kann schon ein ungünstiger Schlag gegen den Kopf bei manchen Tieren zum Tode führen. Zwergzüchtungen können außerdem unter Leberfehlbildungen und ‑veränderungen leiden, welche eine ausreichende Entgiftung des Blutes verhindern und teils kostspielige Operationen oder spezielles Futter erforderlich machen.
Wenn ein schönes Fell zum Problem wird
Hundebesitzer legen oft Wert auf ein schönes Fell, weshalb Züchter hierauf ein besonderes Augenmerk legen. Fellfarben wie Silber, Charcoal oder Champagner gelten für viele als Inbegriff der Eleganz und Schönheit. Erreicht werden diese Pigmentierungen durch das Dilute-Gen, das eine Aufhellung der Farbintensität bewirkt. Leider kann es dabei auch zu einem Pigmentmangel oder einer Color-Dilution-Alopezie kommen, die zu Haarausfall, Hautentzündungen, Schuppenbildung oder Allergien führen kann. Solche Farbzüchtungen kommen beispielsweise bei Dobermännern, Greyhound, Irish Setter oder Labrador Retrievern vor. Bei Hunden mit einem komplett oder überwiegend weißem Fell kann das Merlesyndrom vorliegen, wodurch Blindheit und Taubheit bis zu Gleichgewichtsstörungen und Infektanfälligkeit begünstigt werden. Betroffen können Rassen wie der Australien Shepherd, Bobtail oder Collie sein. Ob es tatsächlich zu Beeinträchtigungen kommt, hängt jeweils von der Zucht ab und welche Gentypen miteinander gepaart werden. Auch die schöne Musterung bei Dalmatinern kann für die Hunde zum gesundheitlichen Problem werden. Dalmatinern fehlt ein Enzym zum Abbau der Harnsäure. Deshalb neigen die Tiere zu Nierenerkrankungen. Um dieses Risiko zu minimieren, sind Besitzer aufgefordert, Futter mit purinhaltigen Inhaltsstoffen, wie Innereien und Hülsenfrüchte, zu meiden. Zudem leiden Dalmatiner vermehrt unter Taubheit; insbesondere Exemplare mit blauen Augen. Obwohl bestimmte Farb- und Fellzüchtungen gesundheitliche Beeinträchtigungen hervorrufen können, gelten sie offiziell bisher nicht als Qualzucht. Daher sollten Hundebesitzer verantwortungsbewusst handeln und sich umfassend informieren.
Sind Dackel und Schäferhunde Qualzuchten?
Tatsächlich können beide Rassen Qualzuchtmerkmale aufweisen, da ihr verändertes Skelettsystem Beeinträchtigungen hervorrufen kann. Wie gravierend diese sind, hängt sowohl von der Züchtung als auch von der Haltung ab.
Bei Dackeln führen der gerade Rücken und die kurzen Beine häufig zu Fehlbildungen im Bereich der Zwischenwirbelscheiben und zu Bandscheibenvorfällen. Seriöse Züchter setzen deshalb auf exakte Stammbäume und DNA-Untersuchungen, die dabei helfen, diese Erbkrankheiten einzugrenzen. Wer sich einen Dackel zulegen möchte, sollte gezielt nach diesen Maßnahmen fragen. Um gesundheitliche Schäden zu vermeiden, ist darüber hinaus eine artgerechte Haltung der Dackel wichtig. Nennenswert sind hier eine korrekte Leinenführung und das Vermeiden von Übergewicht und Treppensteigen.
Ähnlich verhält es sich bei Schäferhunden. Gemäß Zuchtstandards sollen sie über eine leicht abfallende Kruppe verfügen, was zu einer mehr oder weniger stark abschüssigen Rückenlinie und deformierten Hinterläufen führen kann. Tiere mit stark abfallender Rückenlinie weisen ein verändertes Gangbild und Störungen im Bewegungsapparat auf, welche zu Gelenkerkrankungen wie Ellenbogen- und Hüftgelenksdysplasie (ED/HD) und Arthrosen führen. In schlimmen Fällen sind eine lebenslange Schmerzmitteltherapie und chirurgische Eingriffe erforderlich. Durch die skelettalen Veränderungen sind manche Tiere im fortgeschrittenen Stadium nicht mehr in der Lage, sich auf den Beinen zu halten. 15 Prozent aller Euthanasien beim Schäferhund gehen auf diese Symptomatik zurück.