‚Roshko’ ist pure Lebensfreude und ‚Hannelore’ sehr verschmust
Warum sie trotzdem im Tierheim gelandet sind
Hannover. Die Tierheime in Deutschland sind schon seit Längerem überfüllt. Im Rahmen ihres 30-jährigen Jubiläums hat die Agila Haustierversicherung deshalb zur Unterstützung des Tierschutzes eine Kooperation mit dem Tierheim in Hannover, dem Sitz des Unternehmens, gestartet. Dabei geht es nicht nur um finanzielle Hilfe, sondern auch darum, tiefer zu schauen: Warum kommen Hunde und Katzen in Tierheime und wie haben sich die Gründe dafür in unseren Zeiten der Polikrise verändert? Und vor allem: Was kann getan werden, um die Situation in den Tierschutz-Einrichtungen zu verbessern? Zum Auftakt der Kooperation mit dem Tierheim Hannover ist Agila diesen Fragen anhand konkreter Schicksale vor Ort nachgegangen.
‚Roshko’ ist hyperaktiv. Nähert sich jemand seinem Zuhause im Tierheim Hannover, freut er sich überschwänglich, springt immer wieder in die Höhe und dreht buchstäblich Pirouetten auf den Hinterpfoten. Der vierjährige Schnauzer-Mischling ist erst seit ein paar Wochen im Tierheim Hannover und hat mit seiner Lebensfreude und seinem Temperament die Herzen der Tierpfleger im wahrsten Sinne des Wortes im Sturm erobert. Sabrina Mallee arbeitet seit 21 Jahren in der Tierschutz-Einrichtung und hat noch selten so einen quirligen Hund gesehen: „Roshko bräuchte dringend ein ruhiges Zuhause und einen Menschen, der bereit ist, mit ihm zu arbeiten, um seine Hyperaktivität im Zaum zu halten. Die Aufregung hier im Tierheim mit den vielen anderen Hunden tut ihm nicht gut. Er hat einen Kreuzbandriss hinten rechts, aber wir können ihn nicht operieren, weil er nach der OP mindestens sechs Wochen Ruhe bräuchte.“
Ruhe gibt es in einem Tierheim wie dem in Hannover selten. Rund 70 Hunde, über 200 Katzen und 100 Kleintiere leben in dem großen Anwesen am Rand von Langenhagen. Der ehemalige Bauernhof besteht heute aus insgesamt zehn Gebäuden, darunter die Katzen- und Hundehäuser, jeweils eine Quarantäne- und Krankenstation sowie die Verwaltungsgebäude. Die Einrichtung hat über 50 Mitarbeiter und weitere 50 Personen helfen ehrenamtlich. Sie gehen Gassi mit den Hunden oder leisten den Katzen Gesellschaft. ‚Hannelore’, eine rund 13-jährige Hauskatze, freut sich beispielsweise immer über Besuch. Sie liebt es, zu schmusen, andere Katzen mag sie allerdings nicht, deshalb wohnt sie allein in ihrem kleinen Raum mit Terrasse. Seit Mai ist sie im Tierheim Hannover. Tierpflegerin Natascha Marchionna vermutet, dass sie aus finanziellen Gründen ausgesetzt worden ist: „Als ‚Hannelore’ zu uns kam, war sie in einem relativ gepflegten Zustand, also sie war definitiv keine streunende Straßenkatze. Ihre Besitzenden haben sie aus irgendeinem Grund ausgesetzt. Wahrscheinlich hatte es mit ihrer Erkrankung zu tun. Sie braucht täglich Medikamente für Niere und Herz, und das war den Leuten offenbar zu teuer geworden.“
Für Ute Possekel, stellvertretende Tierheimleiterin, ist das ein Hauptgrund für die Überfüllung der Tierheime in den vergangenen Jahren: „Es kommen immer mehr Tiere, vorwiegend Katzen, mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu uns. Der Anteil dieser Tiere ist vor allem 2022, nach der Erhöhung der Gebühren für Tierarztkosten (GOT), stark gestiegen. Normalerweise bleiben die Tiere vier bis acht Wochen bei uns. Gesundheitlich beeinträchtigte Tiere sind allerdings deutlich schwerer zu vermitteln als gesunde. Das heißt, es kommen mehr solche Tiere zu uns und sie bleiben auch länger, dadurch wird die Problematik weiter verschärft.“
‚Milly’ ist das beste Beispiel dafür. Seit vier Jahren wartet die mittlerweile 15-jährige europäische Kurzhaarkatze schon auf ein neues Zuhause. Auch sie ist nierenkrank und hat zusätzlich eine Harnsteinproblematik, die dafür sorgt, dass sie, anders als ‚Hannelore’, nicht ganz stubenrein ist. Sie müsste also als Freigängerkatze leben können, wo sie dennoch regelmäßig ihre Medizin erhält.
Bei den Hunden ist eher die Überforderung in Fragen der Erziehung ein Hauptgrund für die Abgabe ins Tierheim. ‚Largo’ ist wie ‚Roshko’ ein typisches Beispiel dafür. Der fünfjährige Kangal-Mix ist ein Herdenschutzhund. Diese Tiere verteidigen und beschützen ihre Lieben und ihr Revier relativ selbstständig, wenn man sie lässt. Es braucht viel Sicherheit und konsequente Führung, um von ihm als Rudelführer anerkannt zu werden. „Aber genau darin liegt das Problem heutzutage“, erläutert Ute Possekel: „Es kommen immer mehr verhaltensauffällige Hunde zu uns, die oft gar keine Erziehung genossen haben. Meiner Meinung nach steckt dahinter ein Phänomen, das man allgemein in der Gesellschaft beobachten kann. Die Menschen sind nicht mehr bereit, sich auf Konflikte einzulassen und sie angemessen auszutragen. Ein Hund benötigt aber klare Anweisungen und der Haltende muss in der Lage sein, sich mit ihm auseinanderzusetzen.“
Halter müssen in Niedersachsen einen Hundeführerschein haben, das sollte eigentlich dazu führen, dass entsprechende Sachkunde für die Erziehung der Vierbeiner vorhanden ist. Überprüft wird das allerdings selten, auch nicht vom Züchter beim Kauf eines Hundes. Dasselbe gilt für die Katzenschutzverordnung, die 2019 in Hannover in Kraft getreten ist. Sie schreibt Privatpersonen die Kastrations‑, Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht von freilebenden und freilaufenden Katzen vor. Trotzdem kommen immer mehr ungewollte Kitten ins Tierheim Hannover. Vorschriften und Erlasse helfen also offenbar nur bedingt, solange sie nicht besser überprüft werden. Ute Possekel hält Aufklärungsarbeit deshalb für effektiver: „Wer beispielsweise jemanden kennt, der eine unkastrierte Katze als Freigänger hält, sollte ihn unbedingt darauf ansprechen. Das Gleiche gilt für Bekannte, die sich einen Hund zulegen möchten. Der erste Schritt sollte immer sein, dass man sich professionelle Hilfe bei der Auswahl des Hundes sucht, damit man später nicht überfordert ist mit der Erziehung. Da kann man zu Hundetrainern gehen oder eben zu Einrichtungen wie der unseren. Wir können mit ein paar Fragen und Beobachtungen schnell herausfinden, ob ein passendes Tier für die Adoption zur Verfügung steht.“